Kein simpler Strohhalm: Wenn Kolibris Blütennektar trinken, nutzen sie einen blitzschnellen und überraschend komplexen Trinkmechanismus, wie Zeitlupenaufnahmen und CT-Scans enthüllen. Das Manöver umfasst leckende Zungenbewegungen und eine selektive Öffnung verschiedener Schnabelabschnitte – dies sorgt für das Einsaugen des Nektars von der Zunge in den Rachen. Kolibris sind damit ein seltenes Beispiel für einen kombinierten Schlürf-Saug-Mechanismus beim Trinken. Möglich macht dies ihr ungewöhnlich flexibler Schnabel.
Kolibris sind dafür bekannt, dass sie dank extrem schneller Flügelschläge quasi still in der Luft „stehen“ können. Für das menschliche Auge sind ihre Bewegungen dabei kaum wahrnehmbar. Die meisten Kolibri-Arten nutzen diesen Schwebeflug, um Nektar aus Blüten zu trinken. „Das Schweben zum Trinken verbraucht sehr viel Energie. Daher versuchen Kolibris, den Energieverbrauch zu minimieren und so schnell wie möglich zu trinken“, erklärt Alejandro Rico-Guevara von der University of Washington.
Dem Trinkmechanismus der Kolibris auf der Spur
Doch das schnelle Nektarsaugen ist für die Kolibris nicht einfach, denn der Nektar in den Blüten ist nur schwer zugänglich. Um an ihn heranzukommen, nutzen die Kolibris unter anderem ihre speziell geformte Zunge, die sie beim Trinken in schnellen Bewegungen origamimäßig entfalten und ausstrecken, wie frühere Studien belegten. Mit den Rillen in der Zungenspitze lecken die Vögel dann den Neckar auf. Unklar war bislang jedoch, welche Rolle der lange, dünne Schnabel beim Trinken spielt.
Das hat nun das Team um Rico-Guevara genauer untersucht. Dafür filmten die Biologen Kolibris von sechs verschiedenen Arten mit Hochgeschwindigkeits-Kameras, während diese an transparenten Futterhäuschen in Kolumbien, Ecuador und den USA tranken. Zudem prüften die Forscher mittels Mikro-Computertomografie-Aufnahmen von Kolibri-Exemplaren im Yale Peabody Museum, wie biegsam deren Schnabel ist. Aus der Zeitlupe der Videos und den CT-Scans rekonstruierten die Biologen dann die Schnabelbewegungen der Kolibris beim Trinken.
Blitzschnelles Trinkmanöver in drei Akten
Die Analyse enthüllte eine komplizierte mehrstufige Trinktechnik: Um die Zunge auszustrecken, öffnet der Kolibri nur die Spitze seines Schnabels. Sobald seine Zunge den Nektar berührt, schließt er die Schnabelspitze wieder, lässt jedoch einen winzigen Spalt zum Einziehen und „Auswringen“ der Zungenspitze offen. Den Mittelteil seines Schnabels hält der Vogel fest geschlossen. Anschließend öffnet er den Schnabelansatz an der Kopfseite leicht, wie die Zeitlupen zeigten.
Durch diese selektive Schnabelöffnung kann der Kolibri den Nektar von seiner Schnabelspitze über die Zunge bis in den Rachen saugen. Das ganze Manöver dauert weniger als 0,1 Sekunden und viele Kolibriarten wiederholen diesen blitzschnellen Vorgang zehn- bis 15-mal pro Sekunde, wie Rico-Guevara und seine Kollegen erklären.
Überraschend flexible Schnabel-Konstruktion
Die Analysen offenbarten auch, dass der Kolibri-Schnabel trotz seines starren Äußeren bemerkenswert beweglich, flexibel und „gelenkig“ ist. Bei den einzelnen Schritten öffnet sich der Schnabel nicht wie eine Schere, sondern es bewegt und biegt sich jeweils nur ein Teil des oberen Schnabels und Oberkiefers. Der untere Schnabel und Unterkiefer bleiben hingegen komplett unbewegt.
„Wir wussten bereits, dass Kolibri-Schnäbel eine gewisse Flexibilität haben. Zum Beispiel beugen Kolibris ihren unteren Schnabel beim Fangen von Insekten“, sagt Rico-Guevara. „Aber jetzt wissen wir auch, dass der Schnabel eine sehr aktive und wesentliche Rolle bei der Gewinnung von Nektar über die Zunge spielt.“ Demnach ist nicht nur die Zunge, sondern auch der Schnabel der Kolibris für das Trinken wichtig.
Seltener Schlürf-Saug-Mechanismus
Anhand der Zungen- und Schnabelbewegungen der Kolibris ermittelten die Forschenden auch, wie der Nektar dabei in den Rachen gelangt. Demnach greifen beim Trinken zwei verschiedene physikalische Prinzipien: die Couette-Strömung und die Hagen-Poiseuille-Strömung. Erstere nutzen auch beispielsweise Hunde und Katzen bei ihrem schlabbernden Trinkvorgang. Bei diesem Effekt sorgt eine Scherspannung im Maul beziehungsweise Schnabel dafür, dass das Wasser auf der Zunge haftet und in den Rachen transportiert wird.
Der zweite Effekt beim Trinken der Kolibris ist ein sauggesteuerter Mechanismus, den beispielsweise auch Mücken beim Bluttrinken verwenden oder Menschen, die durch einen Strohhalm trinken. Dabei wird Flüssigkeit per Unterdruck durch ein Rohr gezogen.
Die allermeisten Tiere nutzen nur eine der beiden Techniken. Kolibris sind hingegen ein seltenes Beispiel für die Verwendung beider Methoden, wie die Forschenden schließen. „Es macht Sinn, dass sie beide Techniken verwenden, da sie den Nektar tief in der Blüte erreichen und schnell und effizient trinken müssen“, sagt Rico-Guevara. Beides ist durch den flexiblen Schnabel und die koordinierte Schnabel-Zungen-Bewegung möglich.
Schnabel der Kolibris gibt weiter Rätsel auf
In Folgestudien will das Team nun klären, welche Muskeln die Kieferbewegungen des Kolibris beim Trinken steuern und ob sich ihre Trinktechnik je nach Blütenform unterscheidet. Zudem wollen die Biologen näher untersuchen, wie sich andere Verwendungszwecke für den Schnabel – wie das Fangen von Insekten oder die Verteidigung gegen Rivalen – auf dessen Stabilität und Beweglichkeit auswirken.
Darüber hinaus wollen sie klären, wie stark die Schnäbel verschiedener Kolibriarten sich unterscheiden und ob es Unterschiede zwischen Männchen und Weibchen gibt. (Proceedings of the Royal Society Interface, 2024; doi: 10.1098/rsif.2024.0286)
Quelle: University of Washington